- Wie bist du auf das Projekt „Bikepacking Europe“ gekommen?
2020 habe ich für meine Abschlussarbeit am Gymnasium in insgesamt 38 Tagen mit dem Rennrad alle 250 Städte der Schweiz besucht und den höchsten Berg in allen 26 Kantonen bestiegen, in mehreren Tagesetappen (1-3 Tage am Stück). Dieses Projekt hat mir so gut gefallen, dass ich das wiederholen wollte, einfach „eine Nummer größer“.
2. Warum wolltest du das machen?
Ich wollte die Zeit nach meiner Matura plus dem viermonatigen, verpflichtenden Militärdienst in der Schweiz 2021 bis zum Beginn meines Studiums 2022 nutzen – das sind schließlich 10 Monate (November 2021 bis September 2022). Abenteuerlust, Neugierde, sportliche Herausforderungen, Reisen, neue Leute kennenzulernen, den Horizont erweitern, sind Dinge, die mich angetrieben haben…
3. Hast du bereits vorher schon eine Bikepacking Tour über einen längeren Zeitraum unternommen?
Ja, für meine Abschlussarbeit 2020, aber das waren immer kürzere Touren, nie länger als ein paar Tage am Stück. Und früher war ich ab und zu in den Sommerferien mit einem guten Freund mit dem Rad unterwegs, so ca. fünf Tage. Damals hatten wir noch keine Ahnung, haben vieles falsch gemacht, aber von diesen Erfahrungen habe ich sehr viel mitgenommen und auch für dieses Projekt genutzt.
4. Wie hast du dich vorbereitet?
Ich bin im Berglauf Nationalkader, habe mit Radfahren (und Klettern) eigentlich nicht viel zu tun, aber eine gewisse Grundfitness ist auf jeden Fall vorhanden. Eigentlich kann man sagen, dass ich mich bereits mein ganzes Leben lang auf dieses Projekt vorbereitet habe, als kleines Kind beim Wandern und Radfahren mit meinen Eltern, später dann mit den bereits erwähnten kleinen, mehrtägigen Radtouren, meiner Maturaarbeit, etc.
- Körperlich habe ich mich nicht spezifisch vorbereitet, nach den letzten Berglauf-Wettkämpfen im September war ich sportlich kaum noch aktiv, sondern mehr mit Freunden, Familie und meiner Freundin unterwegs um beim Start meines Bikepacking-Abenteuers körperlich, aber auch psychisch und emotional ausgeruht zu sein. Und wenn jeden Tag 200 km radelt, findet man den „Rhythmus“. Zudem habe ich festgestellt, dass es sowieso viel Kopfsache ist, da finde ich es wichtiger, gut ausgeruht anstatt müde vom Training zu sein.
- Material habe ich organisiert und vorbereitet, sowie auch eine grobe Routenplanung. Und dann gab es auch noch ganz viele kleine Dinge wie Handy-Tarif, Einreisebestimmungen, eine eigene Website aufbauen und alles (Post, finanzielle Angelegenheiten, etc… ) auf meine Abwesenheit vorbereiten und so weiter… Ich hatte für die Vorbereitungen nicht viel Zeit, da ich bis eine Woche vor meinem Start im Militär war und eigentlich so gut wie alles irgendwie von dort aus machen musste.
- Schlussendlich erachte ich ein zu viel an Planung etwas unnötig, da am Ende sowieso Vieles anders kommt als erwartet und zu eine strikte Planung das Abenteuer kaputt machen kann.
5. Was hattest du alles an Ausrüstung dabei?
So viel wie nötig, so wenig wie möglich. Man schleppt alles die ganze Zeit mit. Trotzdem muss man für +40° in Südeuropa und gleichzeitig für -20° in den skandinavischen Bergen vorbereit sein. Und die nötigste Ausrüstung fürs Bergsteigen war auch dabei. Insgesamt alles in höchster Qualität und so leicht wie möglich.
- Meine grobe „Packliste“: 1 Radhose (lange im Winter, kurze im Sommer), 2 T-Shirts, 2 Paar Socken, 1 Unterhose, 1 Pullover, 1 Fleecejacke, 2 Regenjacken, 1 Regenhose, 1 Daunenjacke, Handschuhe, Mütze, Beinlinge, Armlinge, Fahrradschuhe, Bergschuhe, Viele kleinere Dinge wie z.B. Toilettenartikel und Ausweis/Dokumente, Eispickel und Steigeisen, Schlafsack und aufblasbare Matte.
- Kein Zelt: ich habe schnell gemerkt, dass ich es nicht zwingend brauche und habe es dann doch daheim gelassen.
- Reparaturmaterial hatte ich kaum dabei, da ich eh nicht allzu viel Ahnung von Fahrrädern habe
6. Nun aber zu deiner Reise an sich. Welches Gebiet/Land oder welcher Ort/Stadt hat dich am meisten überrascht?
Eigentlich der ganze Balkan. Die Landschaft war schöner, als ich es mir je hätte vorstellen können. Die Berge dort, auch in Rumänien, Bulgarien, etc., sind noch so richtig wild und unberührt. Zudem sind die Menschen – obwohl sie oftmals wirklich arm sind und nicht viel (Materielles) haben – herzlicher, offener und unkomplizierter als bei uns. Es ist dort auch kulturell anders, auch das Preisniveau und der Lebensstil ist einfach total anders als bei uns.
7. Wo hat es dir am besten gefallen, was war für dich persönlich der schönste Ort?
Das ist eine ganz ganz schwierige Frage. Schlussendlich hängt die „Schönheit“ eines Ortes auch stark vom Wetter, von Emotionen und von anderen Faktoren ab. Ein paar wirklich schöne Länder waren für mich beispielsweise Spanien, Schottland, Norwegen, Rumänien, Griechenland, Albanien oder Montenegro. Insgesamt haben mir die Berge besser gefallen als die Städte. Aber in Summe betrachtet, waren es einfach zu viele Orte, Städte, Nationalparks, Seen, Meere, Berge, Landschaften und so weiter in zu kurzer Zeit, um einen einzigen Ort auszuwählen.
8. Gibt es einen Ort, an den du gern nochmal radeln würdest?
Norwegen, weil ich da zu einer ungünstigen Jahreszeit war und das Wetter fast immer grau und nass war. Der Balkan, weil es dort bestimmt noch sehr viel zu entdecken gibt und diese Ecke Europas noch wenig vom Tourismus beeinflusst ist. Und in der Türkei merkt man schon etwas den Einfluss aus Asien, dort wäre ich gerne nach Istanbul und einfach weiter in den Osten gefahren.
9. Welcher Berg ist dir besonders in Erinnerung geblieben und warum?
- Mulhacén (ca. 3.500 m) in Spanien: Es war mein zweiter Landeshöhepunkt und hatte deshalb noch irgendwie etwas Magisches. Das ist etwas, das nach so vielen Erlebnissen, Städten, Bergen, Ländern leider ein wenig verloren gegangen ist… Ich habe mich einfach an die „Schönheit von Orten“ gewöhnt und Dinge, die normalerweise unglaublich schön sind (z.B ein Sonnenaufgang auf einem Berg oder eine schöne Stadt), fühlten sich irgendwann einfach normal an. Ich war an jenem Tag (im Dezember) etwa 15 Stunden unterwegs (mit Fahrrad und zu Fuß) und erreichte dann den Gipfel ziemlich auf die Minute genau zum Sonnenuntergang. Aussicht bis nach Afrika – einfach atemberaubend.
- Pico de Comapedrosa in Andorra: Weil mir im tiefsten Winter alle (insbesondere die lokalen Bergführer) gesagt haben, dass der Berg bei den aktuellen Bedingungen und mit meiner Ausrüstung (hatte ja nur ein paar Trailrunning Schuhe und Ketten/Minicrampons) unmöglich zu besteigen ist, ich es aber trotzdem geschafft habe…
- Und der Gran Paradiso in Italien, weil es der letzte war (wird dann aber hoffentlich bald noch vom Mont Blanc abgelöst).
10. Hast du während der Fahrt mal ans Aufhören gedacht?
Ich glaube nie wirklich ernsthaft, dafür war mein Ego zu groß und ich weiß, dass ich mich damit schlecht gefühlt hätte. Aber es gab nicht wenige Situationen, in denen das warme Bett zu Hause eine attraktive Alternative gewesen wäre 🙂 Zum Beispiel, wenn es wochenlang nur regnet (bei mir im April) oder schneit und kalt ist (im Norden Skandinaviens), ist es schon hart, alleine mit dem Fahrrad dort draußen zu sein, insbesondere die Nächte. Auch nach meinem Skiunfall im Januar habe ich mir überlegt, gar nicht erst wieder loszufahren oder etwas anderes zu machen. Und der Hundebiss in Albanien war tatsächlich eine recht ernste Situation, weil es in Albanien noch ein gewisses (wenn auch sehr kleines) Risiko für Tollwut, jedoch keine Tollwutimpfung, gibt. Und so habe ich darüber nachgedacht, für diese Impfung nach Hause zu kommen. Aber wirklich ernsthaft habe ich nie ans Aufgeben gedacht.
11. Mitte August hieß es nach über 200 Tagen endlich: „Willkomme Dahei!“ Wie ist es, nach so langer Zeit wieder zu Hause zu sein?
Unglaublich schön, aber auch etwas komisch. Wenn man mehr als 200 Tage jeden Tag (außer 2 mal) an einem anderen Ort aufwacht und im Schnitt etwa an jedem vierten Tag in ein neues Land kommt, alles was man braucht am Fahrrad mitträgt, sich jede einzelne Mahlzeit einzeln besorgen muss – dann ist es schon komisch, plötzlich wieder ein fixes zu Hause mit Bett, Kühlschrank, Dusche, etc. zu haben. Man merkt unterwegs, was man wirklich braucht und lernt alles wieder mehr zu schätzen. Und zu Hause ist für mich eigentlich insbesondere jener Ort, wo die Menschen sind, die ich am liebsten mag und das war es auch, was ich am Allermeisten vermisst habe!
12. Im September beginnst du das Studium Gesundheitswesen und Technologie an der ETH Zürich. Hast du außerdem schon ein neues (Bike-)Projekt im Kopf?
Konkret habe ich noch nichts geplant, aber ich mag diesen Ansatz der Kombination von Hauptstadt und höchstem Berg in jedem Land. Und 47 Länder sind ja erst etwa ein Viertel aller Länder der Erde… 😊